Ich finde es ehrlich gesagt etwas dreist, dieses Stück als eine "Neuinterpretation des Ballets 'Der Nussknacker'" zu beschreiben. Mit dem Ballett hat diese Produktion nur gemein, dass Tschaikowskis Stücke von einem Pianisten gespielt werden. Die Tänze und die "Handlung" sind jedoch völlig andere. So kommt ein Nussknacker bis auf die allererste Minute zu keinem Zeitpunkt vor - da erzählt ein Nussknacker kurz einleitend die Handlung des Originals, nur um dann vom Pianisten mit einem lauten "STOPP!"-Ausruf unterbrochen und beiseitegestellt zu werden. Von da an handelt es sich hier um ein komplett neues Werk. Ich will keine Böswilligkeit unterstellen, aber man könnte meinen, das Werbeplakat und der Titel "EIN Nussknacker" seien hier bewusst gewählt worden, um Leute in die Irre zu führen und Zuschauer anzuziehen, die eigentlich das Ballett "DER Nussknacker" sehen wollen. Das erinnert schon fast an die Filmschmiede "The Asylum", die Low-Budget-Abklatsche von Hollywoodfilmen produziert und mit ähnlich klingenden Titeln versieht: Da wird beispielsweise "Transformers" zu "Transmorphers" oder "Paranormal Activity" zu "Paranormal Investigations".
Das Stück enthält neben der Einleitung keinerlei gesprochene Worte. Stattdessen wird hier 90 Minuten lang getanzt. Die etwa zehn Tänzer machen dabei ausladende Bewegungen mit ihren Armen und Beinen, springen immer wieder in die Höhe und rollen sich über den Boden. Das ist sportlich beeindruckend, aber für mich als Laien nicht unbedingt schön. So gab es häufig Segmente, bei denen alle Tänzer verschiedene Bewegungen wild durcheinander machten, ohne dass es für mich eine erkennbare Choreographie gab. Das erinnerte mich zuweilen eher an Tanztherapie als an eine Performance im Takt zur Musik.
Eine Handlung gab es meiner Meinung nach überhaupt nicht. Hätte ich im Anschluss nicht den Beschreibungstext gelesen, hätte ich nicht verstanden, worum es geht. So war mir nicht mal klar, dass es zwei Hauptfiguren gab, die zueinander finden. Darin gar eine "Transformation (...) zu bedeutungsvolleren Werten wie menschliche Nähe und Zuneigung" zu sehen, ist für den Zuschauer unmöglich. Für mich erkenntlich war lediglich die Konsumkritik im ersten Akt - aber auch nur, weil sie so plump war. So hantierten die Tänzer im ersten Akt viel mit Shoppingbeuteln herum während im Hintergrund bekannte Werbeslogans wie "Have it your Way" (McDonalds) und "Nothing is impossible" (Toyota) über die Bühne liefen. (Bezeichnend übrigens, dass die englischen Versionen dieser Slogans verwendet wurden und nicht die deutschen. Diejenigen Zuschauer ohne Englischkenntnisse werden diese Slogans wohl nicht erkannt haben und damit auch das letzte Quäntchen "Handlung" verpasst haben.) Durch die aufdringliche Inszenierung war immerhin verständlich, dass das Stück Konsumkritik üben sollte - aber mangels gesprochener Worte war dies auch nicht intelligenter als der Deutschaufsatz eines anti-kapitalistischen Zehntklässlers.